Berichte & Fotos

09.03.2020

Gehirn der Zukunft – Wie die Technik unser Denken verändert

Was Künstliche Intelligenz mit dem menschlichen Gehirn zu tun hat

 

„Wie gut schätzen Sie Ihr Gedächtnis ein?“ – mit dieser Frage an die Mitglieder und Gäste des Marketing-Clubs Ortenau / Offenburg eröffnete Neurowissenschaftler Dr. Boris Konrad im Hubert Burda Media Tower den Abend. Das Feedback der Anwesenden: Die Mehrheit beurteilt die eigene Gedächtnis-Leistung als eher durchschnittlich. Motivation genug für den Erinnerungsprofi, in seinem Vortrag zu zeigen, wie man sein Gedächtnis trainieren kann und welche neuen Chancen sich durch Künstliche Intelligenz ergeben.

Hierfür zückte Konrad ein Poker-Kartenspiel mit 52 Karten. Dieses wurde von einem Zuschauer gründlich gemischt, ehe der Referent eine Minute Zeit hatte, um sich alle Karten in der genauen Abfolge zu merken und sie dann auswendig aufzusagen. Auch für einen Profi eine echte Challenge, die er jedoch mit Bravour meisterte. Wie er das geschafft hat? Und ist diese Fähigkeit für jedermann oder gar für Computersysteme erlernbar?

 

Wie Lernen im menschlichen Gehirn funktioniert

Hierzu stellte Konrad klar: „Es gibt keinen zentralen Ort des Lernens in unserem Gehirn. Vielmehr setzt sich das menschliche Gehirn aus verschiedenen Regionen und je nach Einteilung aus bis zu sieben Gedächtnissystemen zusammen.“ Um Erinnerungen spontan abrufen zu können, komme es auf die neuronalen Verknüpfungen der einzelnen Bereiche an. Der 35-Jährige weiter: „Jeder kann diese Verbindungen mithilfe unterschiedlicher Gedächtnistechniken gezielt aktivieren und erweitern. Besonders geeignet sind hierfür die bildhafte Routenmethode oder zahlen- und namenbasierte Herangehensweisen.“

Auf das Kartenspiel übertragen bedeutet das: Nikolai Konrad hat sich zu jeder Spielkarte ein zusätzliches Bildmotiv sowie eine damit verbundene Handlung überlegt. „Nur, wenn im Gehirn zwei Dinge gleichzeitig passieren, entstehen die für die Gedächtnisleistung notwendigen Verknüpfungen. Je öfter wir derartige Verbindungen beanspruchen und trainieren, umso besser und schneller können wir uns Abfolgen und Ereignisse merken – bis hin zu einem ganzen Kartendeck.“  

 

Dynamische Lerneffekte durch Künstliche Intelligenz (KI)

Diese für Menschen beachtliche Leistung steht nach Ansicht des Speakers jedoch in keinem Verhältnis zu selbstlernenden KI-Systemen. So betonte Konrad: „Der Schachcomputer Alpha Zero der Google-Tochter DeepMind hat es zum Beispiel mit nur vier Stunden Training und ohne jegliche Vorkenntnisse geschafft, den amtierenden Schachweltmeister in einer regulären Partie zu schlagen.“ Für den Redner ein Beleg des enormen Potenzials von KI.  Konrad: „Derartige Systeme lernen auf Basis mathematischer Logikketten unglaublich schnell, orientieren sich dabei in ihrer Systemstruktur jedoch am neuronalen Netzwerk des menschlichen Gehirns.“ Und diese Entwicklung sei noch lange nicht zu Ende.

Grundsätzlich, so Konrad, gehe es im Bereich der KI in den kommenden Jahrzehnten darum, die komplexen neuronalen Netzwerkstrukturen des menschlichen Gehirns vollständig softwareseitig einzubinden. Sogenannten Brain Computer Interfaces, also wechselseitigen Schnittstellen zwischen dem menschlichen Gehirn und angebundener Computersoftware, komme dabei eine immer größere Bedeutung zu. „Bis es einer Software gelingt, alle 86 Milliarden Neuronen unseres Gehirns auf einmal auszulesen, dauert es aber noch einige Jahrzehnte“, ordnete der studierte Physiker die Lage ein.

Konrads Resümee: „Schon jetzt setzt KI in vielen Branchen neue Maßstäbe.“ Vor diesem Hintergrund sei es umso wichtiger, dass der Mensch nützliche Impulse von KI in seinem jeweiligen Berufskontext reflektiere. „Ärzte können beispielsweise auf Basis präziser Logik-Ketten des PCs ihre eigenen diagnostischen und prognostischen Ansätze überdenken und optimieren.“ Für die anwesenden Entscheider hatte Konrad den abschließenden Ratschlag: „Achten Sie schon heute auf eine qualitativ gute Datenbasis. Denn KI-basierte Datennetze werden mittelfristig für Unternehmen aller Branchen der Standard sein.“